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Die Pressemitteilung von GöttingenZero
Im Sommer 2023 hatte die Stadt die Kosten ausrechnen lassen, diese Kostenaufstellung liegt uns vor.
Bei ihrer Behauptung, der Radentscheiod würde 100 Millionen Euro kosten, ignoriert die Stadt, dass die beiden Radentscheide sich inhaltlich zu einem Drittel überscheiden, denn die Forderungen zu Fahrradstraßen und Protected Bike Lanes zur Trennung von Fahrrad und Auto tauchen in beiden Bürgerbegehren auf.
Sie ignoriert ebenfalls, dass Radweginfrastruktur etwa zur Hänfte mit Landes- und Bundesmitteln gefördert wird und Städte nur die Hälfte der Kosten selber zahlen. Unseriös ist auch, dass die Inflation der bis 2030 ermittelten Kosten mit 15 % angesetzt wurde - so hoch war die Inflation nur wenige Monate nach dem Stopp der russischen Gaslieferungen 2022, als noch nicht feststand, dass Deutschland das ausfallende russische Gas gut kompensieren kann. Schon seit einem halben Jahr sind die Baukostensteigerungen wieder auf das vorher übliche Maß von etwa 5 % gesunken.
Wenn wir diese drei Effekte summieren, ergibt sich, dass die Stadt für den gesamten Radentscheid bis 2030 etwa 30 Millionen Euro selber tragen muss - etwa ein Zentel dessen, was die Stadt an Defizitausgleich für den Linienbusverkehr ausgibt, und weniger als ein Drittel dessen, was die Stadt für die Sanierung von Kfz-Fahrbahnen bezahlt.
“Es erscheint eher wie eine populistische Stimmungsmache, bei der absichtlich mit falschen Zahlen um sich geworfen wird. Das Manöver wirkt durchsichtig und sehr unglaubwürdig”, so Initiatorin des Radenteids Isabel Hielscher
GöttingenZero
Die Szenarien aus dem Rathaus wirken unseriös
Kostensumme für beide Bürgerentscheide
Die Kosten für beide Begehren können nicht einfach addiert werden. Teile der Kosten (die für Fahrradstraßen und Protected Bike Lanes) überschneiden sich. Das, was in Begehren 1 in den Abschnitten 2.1 und 2.2 allgemein gefordert wird, ist für beide Begehren konkret kalkuliert worden.
Die Überschneidung liegt bei etwa 25 Mio EUR. Die Summe der Kosten für beide zusammen läge bei Zugrundelegung der städtischen Zahlen bei etwa 70 Mio EUR.
Inflation
Die Inflation wurde mit 15 % pro Jahr durchgehend bis 2030 angesetzt - außer beim Personalbedarf (dort 3 % pro Jahr). Beides zusammen (3 % Lohnsteigerung bei 15 % Inflation) ginge in Deutschland keine 6 Jahre lang gut.
Die Steigerungen bei den Baupreisindizes für Straßenbau lagen jahrelang bei etwa 5 % pro Jahr (nie über 10 %). Sie sind unmittelbar nach Beginn des Ukraine-Krieges Anfang 2022 auf über 15 % gestiegen und blieben bis Mitte 2023 so hoch. Die Kostenschätzung der Verwaltung im Sommer 2023 nahm an, dass der Durchschnittswert des ersten Halbjahres 2023 (15 %) bis 2030 gleich bleiben würde.
Das erscheint unwahrscheinlich. Die Steigerungsraten der Preisindizes gegenüber dem Vorjahresquartal sind inzwischen wieder stark gefallen und pendeln sich auf dem Vorkriegswert ein (im 4. Quartal 2023 bei 6,4 % für Straßen, 1,5 % bei Brücken). Quelle: Statistisches Bundesamt (März 2024, https://www.destatis.de/DE/Themen/Wirtschaft/Konjunkturindikatoren/Preise/bpr210.html#241664 )
Bei einer Inflation von 8 % pro Jahr liegen die Kosten für beide Begehren bei etwa 60 Mio EUR. Bei 5 % Inflation sind es etwa 55 Mio EUR für beide Begehren zusammen.
Fördermittel
Der Bau von Radverkehrsinfrastruktur wird mit etwa 50-70 % von Land und Bund gefördert. Für Göttingen läge die Quote schätzungsweise eher bei etwa 40-50 %, weil beim Umbau der Bürgerstraße ausdrücklich nicht auf Förderzusagen gewartet werden muss (die Verwaltung hatte
2018 argumentiert, das Leitprojekt aus dem Radverkehrsentwicklungsplan werde deswegen nicht umgesetzt, weil es keine Fördermittel gebe - daher dieser Passus im Begehren 1). Bei 45 % Förderquote und 5 % Inflation kämen auf die Stadt 30 Mio EUR bis 2030 zu, das entspricht etwa 4-6 Mio EUR/Jahr.
Das wäre das, was die Radentscheid-Umsetzung die Stadt pro Jahr kosten würde. Davon 2-3 Mio EUR für einen nicht geförderten Umbau der Bürgerstraße und 2-3 Mio EUR städtische Mittel für den gesamten Rest (dieser mit höheren Förderquoten).
Die Radentscheid-Kosten im Verhältnis zum Busverkehr: ein Zehntel
Der städtische Defizitausgleich für die GöVB läuft auf eine Größenordnung von etwa 30 Mio EUR/Jahr hinaus (Baudezernent Frithjof Look im Umweltausschuss, 27.02.2024). Bei 15 % Inflation lägen diese Beträge 2030 beim doppelten Wert - Fördermittel gibt es nicht, zusammen also 300 Mio EUR in 6 Jahren bis 2030.
Bei 5 % Inflation läge die 6-Jahres-Summe bei 235 Mio EUR, die in Relation zu den 30 Mio EUR für den Radentscheid zu setzen wären. Hinzu kommen noch die Investitionen in den Busbetriebshof und das Busdepot am Schützenanger, sowie Mittel für die Grunderneuerung von Bushaltestellen (2,5 Mio EUR in 2024, Bauausschuss 07.12.2023). Zusammen etwa 300 Mio EUR bis 2030. Der Radentscheid fordert von der Stadt Investitionen in Höhe von nur einem Zehntel dessen, was die Stadt für den Busverkehr veranschlagt.
Die Radentscheid-Kosten im Verhältnis zum Autoverkehr: ein Drittel
Die 2024 begonnen Projekte im Straßenvermögenerhaltungsprogramm behandeln ausschließlich Kfz-Fahrbahnen (kein einziger Radweg wird saniert) und belaufen sich auf 12,6 Mio EUR (Bauausschuss 12.07.2023), offenbar ohne Aussicht auf Fördermittel. Bei 15 % Inflation ergäbe sich ein 6-Jahres-Summenwert von 125 Mio EUR, bei 5 % Inflation von 100 Mio EUR bis 2030.
Auf manchen dieser Straßen dürfen auch Fahrräder fahren. Sie würden aber nicht saniert, wenn keine Autos drauf fahren dürften. Daher bewerten wir es als reine Autoverkehrsförderung. Alleine für die Unterhaltung der Kfz-Fahrbahnen wird mehr als 3mal so viel städtisches Geld ausgegeben wie für den Radentscheid gefordert.
Unsere Bewertung der Kostenschätzung
Die Kalkulation der Verwaltung stellen wir nicht in Frage - mit Ausnahme des unserer Ansicht nach übertrieben hohen Inflationsansatzes.
Wir haben uns gewundert, warum diese vielen Maßnahmen in der Summe so kostengünstig sind. 4-6 Mio EUR/Jahr städtischer Kostenanteil sind ein erstaunlich niedriger Wert - weniger als ein Drittel dessen, was die Stadt jedes Jahr für Kfz-Straßeninstandhaltung ausgibt. Wir achteten bei der Ausarbeitung streng darauf, keine teuren Maßnahmen einzubeziehen (z. B. keine Verlegung von Bordsteinen).
Nur für zwei Maßnahmen von zentraler Bedeutung haben wir hohe Kosten in Kauf genommen: den Umbau der Bürgerstraße (19 Mio EUR bei 15 % Inflation = 15 Mio EUR bei 5 % Inflation) und die Anpassung der Linienbusführung im Einbahnstraßensystem Friedländer Weg/Merkelstraße (etwa 2 Mio EUR).
Im Radentscheid sollten nicht die Kosten die entscheidende Rolle spielen, sondern ausschließlich der politische Wille. Es geht um die Umsetzung einer Grundsatzentscheidung - Mischverkehr oder Trennung von Fahrrad und Auto auf Durchgangsstraßen.