Eine Teilnehmerin von Strassenblockaden vor dem Göttinger Amtsgericht

Auszüge aus ihren Stellungnahmen vom 10.3.2023

Geposted von " GöKB " am Friday, December 9, 2022

Inhalt

Auszüge aus meiner Einlassung vor Gericht

Ich stehe hier heute vor Gericht, weil ich Teilnehmerin an den genannten 2 Straßenblockaden der Gruppe “Letzte Generation” war. Das fiel mir nicht leicht und dennoch glaube ich, dass ich das Richtige getan habe, in der Situation eines Klimanotstands, in dem wir uns jetzt befinden. Denn unsere Zukunft beschreiben Top-KlimawissenschaftlerInnen so: "Der Zusammenbruch der Zivilisation ist das wahrscheinlichste Ergebnis".1

Dass es nur Straßenblockaden waren, um auf diesen Notstand aufmerksam zu machen, liegt allein an meinem fehlenden Mut. Ich bin 54 Jahre alt, seit über 25 Jahren verheiratet und Mutter von 3 Kindern im Alter von 28, 26 und 24 Jahren. Seit 20 Jahren arbeite ich im Vertrieb einer Großhandlung für Industrieverpackung. Seit 1980 lebe ich in meiner jetzigen Heimatstadt, seit 43 Jahren also. Sie können an meinem Lebenslauf sehen, dass ICH wirklich NICHT der Typ für Veränderung bin.

Zukunftsszenarien, die alles radikal verändern werden, wenn wir jetzt nichts ändern, um die eskalierende Klimakatastrophe in den Griff zu bekommen.

Bis zum Alter von 51 war ich wohl eher nur so der Typ "umweltbewusste Konsumentin": bißchen einkaufen im Bioladen, Wochenmarkt, Spenderin bei Greenpeace, NABU, politisch GRÜN, Radfahrerin, ganz saubere Mülltrennung und Ökostrom. Also eher aufmerksam und kritisch in Bezug auf unseren Umgang mit der Umwelt. Vor ca. 3 Jahren habe ich mit einigen Müttern meines Alters einen Vortrag von Extinction Rebellion in Göttingen besucht. Und wir haben an diesem Abend die Dramatik der Klimakrise verstanden. Ich kann sagen: Es hat mir quasi den Boden unter den Füßen weggezogen. Was mich allerdings genau so schockiert hat: dass mir diese dramatische Situation bisher so verborgen geblieben war. Seit ich Jugendliche war, gehörte die Tageszeitung auf unserem Frühstückstisch verlässlich dazu. Wenn es wirklich so schlimm stünde mit der Klimakrise, dann müsste es doch das Topthema in allen Zeitungen sein. WAR ES NICHT.

Ich möchte hier an dieser Stelle eine Prognose teilen, damit wir alle auf dem gleichen Stand sind, denn das finde ich wichtig für den Rest des Verlaufs: Temperaturen, die im gegenwärtigen Klima nur in 0,8% der globalen Landoberfläche zu finden sind und die sich hauptsächlich auf die Sahara konzentrieren, werden im Jahr 2070 voraussichtlich auf 19% der globalen Landfläche vorherrschen2. 3,5 Milliarden Menschen können dann dort nicht mehr leben, weil es zu heiß ist. Ich ahne bereits, 3,5 Milliarden Menschen werden sich nicht friedlich zum Sterben hinlegen.

Ich mag es, wenn Dinge ordentlich und strukturiert ablaufen. Wenn ich an die Klimakrise denke, denke ich an Chaos und Zerstörung.

beim fortgesetzten Nichthandeln, Verzögern, Blockieren von effektiven Maßnahmen, die wir so dringend benötigen und die Olaf Scholz , der "Kanzler für Klimaschutz", versprach, zu organisieren. Seit Anfang 2022 habe ich mein Engagement ausschließlich nur noch auf Unterstützung der Letzten Generation verlegt. Ich unterstütze die Blockaden der Letzten Generation,

weil wir WIRKLICH die letzte Generation sind, die diese drohende Klimakatastrophe noch abwenden kann.

(wie es auch Barack Obama3 und der ehemalige UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon4 schon sagten),

Der ehemalige Chef-Berater der britischen Regierung für Fragen der globalen Erwärmung Sir David King beschreibt unsere Lage im Jahr 20215 so:

"Was wir in den nächsten drei bis vier Jahren tun, wird meiner Meinung nach die Zukunft der Menschheit bestimmen. Wir befinden uns in einer sehr, sehr verzweifelten Situation."

Und ich habe mir dann sehr ehrlich die Frage gestellt: Wenn die Politik trotz allen Wissens nicht handelt? Wenn ICH als normale Bürgerin diese Klimakrise verstanden habe? Und alle bis dahin demokratischen Protestformen nicht vermochten, etwas zu verändern? Und ich dieses sehr kleine verbleibende Zeitfenster kenne, bis der Planet in eine unumkehrbare Heißzeit kippen wird? Und ich mich jetzt nicht traue, diese Verantwortung zu übernehmen:

Ich habe mich dann entschlossen, diese Straße zu blockieren, weil ich es für fahrlässig halte, immer und immer wieder die gleichen nicht wirksamen Protestformen zu wählen, die bisher nicht funktioniert haben. Die ehemalige UN-Klimachefin und “Mutter” des Pariser Klimaabkommens Christiana Figueres sagt dazu: "Ziviler Ungehorsam ist nicht nur eine moralische Entscheidung, es ist auch die mächtigste Art, Weltpolitik zu gestalten."6

Es war vielmehr eine Abwägung möglicher Zumutungen. Die Zumutung der Blockierten durch diese vergleichsweise kurze Störung unseres zerstörerischen Alltags, abgewogen mit den erwartbaren Zumutungen, die die eskalierende Klimakrise für uns alle bereithält und die unvorstellbar größer sein werden.

Ich habe dann die Entscheidung für mich gefällt, symbolisch das Recht zu übertreten, um auf den Rechtsbruch unserer Regierung aufmerksam zu machen. Auf den Rechtsbruch unserer Regierung, die unsere Lebensgrundlagen gerade nicht schützt, indem sie weiterhin fossile Infrastruktur plant und einfachste Sicherheitsmaßnahmen nicht beschließt.

Ich habe diese Straße blockiert mit dem mildesten Mittel, das mir zur Verfügung steht: mit meinem Körper. Um die Regierung zu adressieren mit meinen Forderungen.

Ich verstehe diese Handlung als einen Akt zivilen Ungehorsams. Ich bin der Aufforderung der Polizei, diese Straße zu verlassen, nicht nachgekommen und war mir dabei vollständig bewusst, dass ich unter Zwang entfernt werden würde. Die Konsequenzen meines Handelns bin ich bereit zu tragen.

Weil ich den Mut aufbringe, diese Klimakatastrophe zu Ende zu denken.

Auszüge aus meinem Letzten Wort:

So viele engagierte Menschen halten in unendlichem ehrenamtlichem Engagement diese Gesellschaft am Laufen, oft nach Feierabend. Jedoch wird alles Engagement nichts mehr wert sein, wenn wir die Klimakatastrophe nicht in den Griff bekommen. Wir werden alles verlieren, was uns lieb ist.

Dieses zu organisieren ist die Aufgabe der Politik, dafür sind der Klimakanzler und diese Bundesregierung angetreten. Olaf Scholz sagt zu den Straßenblockaden: Der Protest sei „nicht richtig zu Ende gedacht". Die Aktivist:innen sollten sich etwas anderes ausdenken, „das weniger aufregt".

Ich finde diesen Protest tatsächlich auch sehr aufregend. Ich würde das lieber nicht machen müssen. Dabei bin ich immer davon ausgegangen, dass unsere Regierung den Schaden vom Volk abhält und uns schützt. Diese Zuversicht ist mir abhanden gekommen. Ich bin nie davon ausgegangen, dass ich jemals in eine solche Situation kommen würde, mich vor Gericht verantworten zu müssen.

Mein Protest ist grundsätzlich demokratisch, auch wenn er nicht angemeldet war. Wir haben in Deutschland das Versammlungsrecht, selbst die Protestform darf ich frei wählen. Damit stärke ich sogar die Demokratie, weil ich ihre Werkzeuge nutze. Bedauerlicherweise ist insbesondere die Demokratie bedroht durch die Klimakatastrophe. Somit schützt mein Protest auch die Demokratie. Wer die Demokratie erhalten möchte, muss gleichzeitig für radikalen Klimaschutz sein.

Wir müssen keine Mehrheiten mehr für den Klimaschutz finden, wir haben sie bereits. Unser Deutscher Bundestag hat am 22.09.2016 einstimmig für die Ratifizierung des Pariser Klimaabkommens gestimmt.7

In Deutschland bekam dieses Abkommen mit dem Klimaschutzgesetz damit Verfassungsrang.

Und das Bundesverfassungsgericht hat dieses Klimaschutzgesetz in Teilen für verfassungswidrig erklärt. Der Gesetzgeber ist verpflichtet, die Fortschreibung der Minderungsziele der Treibhausgasemissionen für die Zeiträume nach 2030 nachzubessern.

  • Was ist daraus geworden?
  • Wer schützt uns und achtet darauf, dass demokratisch beschlossene Gesetze in Politik übersetzt werden, also eingehalten werden?
  • Wer sollte das sonst tun, wenn nicht die Gerichte?

Dass andere Länder den Klimaschutz auch nicht so ernst nehmen, entbindet meine Regierung keinesfalls davon, die eigenen Ziele umzusetzen. Für alle AutofahrerInnen und Menschen, denen wir diesen Protest zugemutet haben, tut es mir aufrichtig leid. Es tut mir allerdings nicht leid, für das Richtige protestiert zu haben.

Es geht mir um die Störung des Weiter-So, weil alle anderen Protestformen bislang nicht zum Ziel führten.

Wir stören diese Normalität, weil wir überleben wollen. Wir stören unsere bundesdeutsche Normalität, die für Menschen in anderen Teilen der Erde bereits die Hölle auf Erden bedeutet.

Dieser Protest ist meiner Meinung nicht verwerflich. Im Gegenteil: ich kann auch sagen, dass ich die Grundrechte anderer Menschen gewahrt wissen will, die schon heute an der Klimakatastrophe sterben. Alles andere wäre verwerflich. Anhand dieses Kriteriums habe ich diese Abwägung für mich getroffen.

Denn was sagen wir den Menschen in Pakistan, die im Sommer 2022 in den Fluten des Monsun versanken? Was sagen wir diesen 33 Millionen Menschen?

  • Dass wir alle Lösungen kennen, um die Klimakrise abzuwenden, sie jedoch jetzt nicht in der notwendigen Skalierung zur Anwendung bringen können?
  • Dass wir noch immer fossile Infrastruktur installieren anstatt einer Offensive der erneuerbaren Energien?
  • Dass wir noch immer 18 Millionen Tonnen Lebensmittel pro Jahr in Deutschland wegschmeißen und noch immer keinen bezahlbaren öffentlichen Nahverkehr und ein Tempolimit haben?
  • Dass wir ALLEReinfachste Maßnahmen zur Eindämmung der Katastrophe nicht umsetzen wollen?

All dieses politische Beharren an unserem jetzigen Status-quo fühlt sich für mich an wie ein Akt AKTIVER Gewaltausübung an diesen Menschen z.B. in Pakistan, in Somalia, die noch nicht einmal in unsere demokratische Entscheidungsfindung mit einbezogen werden. Das sind Menschen, die nicht hier in Deutschland wählen können und die die Auswirkungen unserer Politik schon heute mit ihrem Leben bezahlen.

Der Präsident des Inselstaates Palau bringt meiner Meinung nach unsere aktive Gewaltausübung durch unser Nichthandeln auf den Punkt. Seine Insel ist existentiell vom Meeresspiegelanstieg bedroht und er sagte auf der 26. Klimakonferenz8 zu den Ländern des globalen Nordens, also zu uns:

“Offen gesagt, gibt es keine Würde für einen langsamen und schmerzhaften Tod. Ihr könnt genauso gut unsere Inseln bombardieren, anstatt uns leiden zu lassen,nur um Zeuge unseres langsamen und schicksalhaften Untergangs zu werden.”

Ich möchte eine Zukunft abwenden, die nach Aussage führender KlimawissenschafterInnen bei einem Weiter-So den Kollaps unserer Zivilisation als wahrscheinlichstes Ereignis modelliert. Ich halte das Problem nach sorgsamer Abwägung für so gravierend, dass ich es als legitim ansehe, dafür dieses Weiter-So zu unterbrechen und geltendes Recht symbolisch übertrete. In unserem Klimanotstand sehe ich keine andere Option.

Ich habe dieses Gesetz mit vollem Bewußtsein übertreten und halte meinen Protest für legitim.

Ziviler Ungehorsam benötigt ein Anliegen, welches starke Werte vertritt. Wenn ich auf den Klimaschutz verweise und auf die Einhaltung politischer Selbstverpflichtungen der EU und auf das völkerrechtliche Abkommen von Paris, dann handelt es sich meiner Meinung nach um sehr starke Werte. Weil ich mit diesem Protest versuche, nicht nur die eigenen Interessen, sondern das Wohl der Gemeinschaft zu verfolgen. Dieser zivile Ungehorsam findet innerhalb unserer freiheitlichen, demokratischen Grundordnung statt und wird von mir als Bürgerin verübt. Gewaltfreiheit und Friedlichkeit spielen dabei eine zentrale Rolle. Ich habe das mildeste Mittel gewählt und mich friedlich auf die Straße gesetzt.

Oft wird der Vorwurf erhoben, der Protest treffe ja die Falschen. Dazu sagt der Protestforscher Robin Celikates9:

“Angesichts der Kontextabhängigkeit und Kontingenz politischen Handelns gilt jedoch generell: Welche Mittel und Aktionsformen tatsächlich angemessen und effektiv sind, kann man nicht abstrakt und auch nicht im Vorfeld sagen.”

Und weiter:

“Diese demokratiefundierende Rolle von Protest anzuerkennen, ist eigentlich eine Minimalanforderung an eine demokratische politische Kultur und sollte auch Teil des Selbstverständnisses der gewählten Repräsentant:innen sowie der staatlichen Institutionen – inklusive Justiz und Polizei – sein. Das gilt es umso mehr in Erinnerung zu rufen, als die Regierung die von ihr selbst gesetzten Klimaziele, die ja weit mehr sind als unverbindliche Absichtserklärungen, offensichtlich klar verfehlt.”

Sie sprechen heute nicht nur ein Urteil über mich. Sie urteilen heute auch über sich selbst. Das Gericht hat nicht die Aufgabe, Politik zu gestalten, sondern das Gericht überprüft, ob sich alles im gesetzlichen Rahmen abspielt.

Sie haben jedoch einen Ermessensspielraum. Das Ermessen räumt Ihnen als behördlichem Entscheidungsträger gewisse Freiheiten bei der Rechtsanwendung ein.

RichterInnen sagen uns: Wir können ja grundsätzlich ihr Anliegen verstehen, aber Ihre Mittel sind falsch. Ich frage: Welche sind die zielführenden Mittel für unser verbleibendes Zeitfenster? Wir befinden uns bereits im Endspiel und werden keine Nachspielzeit erhalten.

Und auch RichterInnen können sich aktiv über die Klimakrise informieren und Wege suchen, innerhalb der Gesetzeslage einen Wandel anzustoßen, einen Diskurs in Gang zu bringen. Genauso wie ich das auch getan habe.

RichterInnen können hierfür Ihren Ermessensspielraum einsetzen. Sie können hier heute Verantwortung übernehmen.

Sprechen Sie mich frei und beziehen Sie sich auf den rechtfertigenden Notstand. Es gibt unzählige Wege, diese Verantwortung zu übernehmen und wir brauchen jetzt insbesondere Sie als RichterInnen, die diese Wege für uns alle gehen.

Vielen Dank.

Ulrike Schäfer, 10.03.2023 vor dem Amtsgericht Göttingen

Literaturhinweise


  1. https://www.resilience.org/stories/2020-06-08/collapse-of-civilisation-is-the-most-likely-outcome-top-climate-scientists/?fbclid=IwAR3gmSLEhBXuDa2lNW_mRA7ps_0B_ks2DETcOGJdKoirGGk1URwsMXTIE0M    ↩︎

  2. https://www.pnas.org/doi/10.1073/pnas.1910114117    ↩︎

  3. https://obamawhitehouse.archives.gov/the-press-office/2014/09/23/remarks-president-un-climate-change-summit    ↩︎

  4. https://press.un.org/en/2015/sgsm16800.doc.htm    ↩︎

  5. https://www.thecitizen.org.au/articles/forget-2050-experts-say-its-2030-or-bust-for-net-zero-emissions    ↩︎

  6. https://mothernature.news/2019/04/22/time-to-wake-up-to-the-climate-emergency-says-christina-figueres/    ↩︎

  7. https://www.bundestag.de/webarchiv/textarchiv/2016/kw38-de-klima-459220    ↩︎

  8. https://unfccc.int/sites/default/files/resource/PALAU_cop26cmp16cma3_HLS_EN.pdf    ↩︎

  9. https://www.academia.edu/96130200/Protest_in_der_Klimakrise_Die_Legitimita_t_zivilen_Ungehorsams    ↩︎