GöttingenZero wehrt sich gegen ein von der Stadt Göttingen erlassenes Verbot, vor zwei Bürgerentscheiden zum Thema Radverkehr auf Plakaten an Straßenrändern im öffentlichen Raum zu werben. Die Bürgerentscheide finden am 09. Juni 2024 gleichzeitig mit der Europawahl statt. Die Göttinger Klimaschutzgruppe und Initiatorin der beiden Bürgerentscheide hat hierfür im Winter unter harten Bedingungen Unterschriften von knapp 10 % der wahlberechtigten Göttinger Bevölkerung gesammelt. Bereits in den Wochen zuvor hatte die Verwaltungsspitze vergeblich versucht, im Rat Mehrheiten zu finden, die Bürgerentscheide zu verhindern. Die Argumentation: Göttingen tue bereits genug für den Radverkehr, eine Abstimmung an der Wahlurne sei überflüssig. Doch weder ein Ratsbürgerentscheid (der eine Zweidrittelmehrheit im Rat benötigt hätte) noch ein Abwenden eines Bürgerentscheids mit einfacher Ratsmehrheit konnte sie im Rat durchsetzen. Der Versuch, im Wahlkampf Plakatwerbung für die Bürgerentscheide zu verhindern, reiht sich hier ein.
Aus Studien ist bekannt, dass Plakate an Straßenrändern das wichtigste Medium sind, um bevorstehende Wahlen und Abstimmungen in der Bevölkerung bekannt zu machen. Ein Verbot von Plakatwerbung stellt daher einen erheblichen Eingriff in das Wahlkampfgeschehen dar und hat zur Folge, dass ein Großteil der Bevölkerung überhaupt nicht frühzeitig mitbekommt, dass ein Bürgerentscheid überhaupt ansteht. Flugblätter, Veranstaltungen und Wahlkampfstände in Fußgängerzonen haben erwiesenermaßen weit geringere Wirkungen als Wahlplakate.
Ein niedersächsischer Ministerialerlass von 2022 ( http://www.schure.de/93150/43,30056,3310.htm ) leitet die Plakatwerbung aus Anlass von Wahlen direkt aus dem Grundgesetz Artikel 5 ab, aus dem Grundrecht auf freie Meinungsäußerung. Der Runderlass spricht davon, dass sich “das den zuständigen Behörden zustehende Ermessen für die Erteilung der erforderlichen Ausnahmegenehmigungen und Sondernutzungserlaubnissen in der Wahlkampfschlussphase in der Regel zu einem Anspruch der Wahlvorschlagsträger auf Erteilung der erforderlichen Erlaubnisse” verdichtet. Einziger Nachteil dieses Runderlasses: Ausdrücklich sind zwar alle Wahlen von der Europawahl bis zu kommunalen Direktwahlen aufgeführt - Bürgerentscheide werden jedoch nicht erwähnt.
In Niedersachsen finden sehr selten Bürgerentscheide statt, weil das Gesetz die schärfsten Einschränkungen und Hürden von allen Bundesländern enthält. Im Grundgesetz ist jedoch in Artikel 20 Absatz 2 ausdrücklich geregelt, dass die Staatsgewalt vom Volk in “Wahlen und Abstimmungen” ausgeübt wird. Ein Bürgerentscheid ist eine Abstimmung im Sinne dieses Artikels.
In einem Schreiben erläutert die Stadtverwaltung, die Klimaschutzgruppe könne stattdessen Plakatflächen an Straßenlaternen nutzen, die von einer Privatfirma vermietet werden. Da diese Firma jedoch nur Werbung für Veranstaltungen zulässt und ein Bürgerentscheid keine Veranstaltung in diesem Sinn ist, kommt dies faktisch einem Plakatwerbeverbot für die Initiatorin der beiden Bürgerentscheide gleich.
Es ist vermutlich der erste Fall in Deutschland, bei dem eine Großstadt der Initiatorin eines Bürgerentscheides verbietet, im Wahlkampf vor der Abstimmung auf Plakaten für die Ziele zu werben, für die sie zuvor tausende von Unterschriften sammeln musste. Nicht zum ersten Mal setzt Göttingen in Punkto direkter Demokratie eigene Akzente. GöttingenZero hatte bereits 2021 die erforderliche Zahl von Unterschriften für ein Bürgerbegehren zur Klimaneutralität 2030 gesammelt - die Stadtverwaltung hatte danach über 9 Monate und damit weit länger gebraucht als jede andere deutsche Stadt vorher, die Unterschriften zu prüfen und das Ergebnis zu verkünden.
Alle weiteren aktuellen Informationen sind unter https://www.radentscheid-goe.de zu finden.