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Gründe für die aufgeheizte Stimmung beim Radentscheid
Am kommenden Dienstag den 4.6.2024 wird Professor Heinrich Detering, Göttinger und einer der angesehensten Literaturwissenschaftler Deutschlands, in Hannover mit dem Niedersächsischen Staatspreis für sein Lebenswerk ausgezeichnet. Im Radentscheid Podcast#3 von Göttingen Zero erklärt er Göttingerinnen und Göttingern sein Ja zum Radentscheid, analysiert Gründe für die aufgeheizte, fast schon feindselige Stimmung in der Stadt und kritisiert die Stadtverwaltung für mangelhafte Kommunikation und Vorbereitung der Radentscheide. Die schlechte Kommunikation der Bürgerentscheide durch die Stadt habe Fake News und Panikmache unnötig Raum gegeben. Noch sei Zeit für die notwendige und interessante Sachdiskussion.
Podcasts zum Radentscheid
Zur Information über die Radentscheide am 9.6., dem Tag der Europawahl, bietet Göttingen Zero eine Serie von 4 Podcasts mit Informationen zu den vorgeschlagenen Maßnahmen, Gegenargumenten und Gerüchten um die Radentscheide. Die nun veröffentlichten Folgen 3 und 4 richten zusammen mit Stimmen aus der Städtischen Öffentlichkeit einen Blick auf den Wahlkampf und die Verkehrsentwicklung in Göttingen.
Im Gespräch mit Professor Heinrich Detering (Podcast 3) geht es zum einen um den Kern der Radentscheide, die Gründe für oder gegen die Entflechtung der Verkehrsarten Auto-, Fuß- und Fahrradverkehr. Detering wirft aber auch ein scharfes Licht auf die Diskussionskultur in unserer Stadt und das Verhalten der Stadtverwaltung. Diese Pressemittelung bietet eine Auswahl von Aussagen und Positionen von Heinrich Detering aus dem Podcast. Gemeinsam mit ihm rufen wir auf, die verbliebene Zeit für die notwendige und fundierte Sachdiskussion zur Verkehrsentwicklung in unserer Stadt zu nutzen.
Entzerrung ist überfällig
Eine Entzerrung und Entflechtung der Verkehrsformen in Göttingen ist überfällig Am allerliebsten ist Heinrich Detering in Göttingen zu Fuß unterwegs. Er sei aber bei allen drei Mobilitätsformen mit dem Ist-Zustand in Göttingen unzufrieden.
„Ich finde … als Radfahrer, als Autofahrer und als Fußgänger, … dass es sehr unglücklich ist, wie sich diese drei Fortbewegungsmittel in Göttingen ständig durchkreuzen und man strukturell an vielen Orten gezwungen ist, einander Scherereien zu machen.“
Er merke täglich
„wie eine Entzerrung und Entflechtung der Verkehrsformen in Göttingen überfällig ist.“
„Peinlich, beinahe eine Bankrotterklärung der Verkehrsplanung“ sei es, dass auf Straßen wie dem Friedländerweg große Fahrradpiktogramme auf die Straße gemalt werden. „Als sei damit schon klar, dass Fahrräder hier Vorrang haben und Autos sich zurückhalten – während in der Praxis gerade in Berufsverkehrszeiten sich ständig alle in die Quere kommen.“
Schon vor dem Radentscheid habe er sich gefragt
„Wie kann man akzeptieren, dass Leute quasi als Dauerzustand systematisch miteinander in Konflikt gebracht werden?“
Woher kommen Hysterisierung und Fake News?
Detering sieht als Hintergrund der überhitzten Göttinger Debatte einen allgemeinen Unwillen, sich mit Nachhaltigkeitsthemen überhaupt zu beschäftigen. Dieser Unwille sei ein Grund der unnötig aufgeladenen und teilweise feindseligen Stimmung in der Diskussion zum Radentscheid.
„Dieser Mangel an Diskussionskultur gerade jetzt bei dieser Debatte in Göttingen hat sicher auch mit einer ganz großen, mindestens bundesweiten Stimmungseintrübung zu tun. Es herrscht, wenn es um Verkehrsfragen geht, überhaupt wenn es um ‚grüne Themen‘ in der Politik geht, überhaupt eine enorme Anspannung – das merkt man in den Wahlkämpfen von den Vereinigten Staaten bis nach Polen, Tschechien oder Frankreich. Was sich im Wahlkampf und in Sonntagsreden so gut anhört, von klimagerechter nachhaltiger Lebensweise: Wie soll das eigentlich kommunal und lokal umgesetzt werden – wenn nicht in genau solchen Entscheidungen?“
fragt Detering deshalb und mahnt an, aus diesem Muster auszubrechen. In Stil und Qualität der Diskussion zu den Radentscheiden sieht er sehr viel Platz nach oben:
„Es findet anstelle einer gut möglichen Sachdiskussion … eine Grundsatzdebatte statt als gelte es das Evangelium.“ Sofort sei dann die Vorstellung von der Verbotskultur, der Zurichtung der Bürger, der Einschränkung ihrer Freiheiten da. „Das ist furchtbar. Das geht ja bis in die Leserbriefspalten unseres Tageblatts hinein, wenn da die Rede ist, die Autofahrenden sollten aus der Stadt vertrieben werden“,
meint Detering.
„Als solle die Stadt okkupiert werden durch Fahrräder. Es hat eine Hysterisierung stattgefunden zu der sicher der Rechenfehler, der vieldiskutierte, massiv beigetragen hat. … Wenn jetzt so diffuse Gerüchte die Runde machen … wie: Es sollten die Radwege alle überdacht werden und warum nicht gleich noch beheizt werden im Winter und so fort“ dann hab er das Gefühl, „dass das mehr oder weniger gezielte Fake News sind, mit denen Panik erzeugt werden soll.“
„Die Mülltrennung ist von der Stadt besser kommuniziert worden“
Die mangelnde Vorbereitung und schlechte Durchführung des Radentscheids durch die Stadt sei offensichtlich ein Hauptgrund dafür, dass die relevanten Argumente viel zu langsam in die Öffentlichkeit finden. So klagt Detering:
„Ich habe nicht verstanden warum nicht plakatiert werden darf. Wo doch gerade jetzt der Europawahlkampf überall mit Plakaten auf sich aufmerksam macht, wo am selben Tag über das eine wie das andere abgestimmt wird.
Warum sind Plakate nur Privatangelegenheiten an Haustüren oder am heimischen Fahrradständer? Warum nicht von der Stadt verteilte Broschüren mit den Argumenten, die relevant sind, so wie wir das ja bei anderen politischen oder auch administrativen Themen auch haben? Die Mülltrennung ist von der Stadt besser kommuniziert worden.“
In der Tat sind gemeinsam von Stadtverwaltung und Initiatoren erstellte Informationsbroschüren und Regeln zur Plakate und Wahlkampf andernorts (z.B. Bonn) in Satzungen für Bürgerentscheide geregelt – nur eben in Göttingen hat die Stadtverwaltung dies ohne Begründung unterlassen.
Eine einfache Frage: Wie denn sonst?
Zum Schluss des Podcasts ergreift Heinrich Detering die Gelegenheit, den in der Stadt Verantwortlichen eine einfache Frage zu stellen: „Meine Frage lautet: Wie denn sonst? Wie sollte es bitte gehen mit einer Verkehrswende, die diesen Namen verdient in einer so überschaubaren Stadt wie Göttingen … . Wenn man nicht zuerst damit anfängt, den Fahrradverkehr zu ermöglichen, ohne dass Autos und Fahrräder und Fußgänger sich ständig in die Quere kommen?“. Jenseits von „Beharrungsdebatten“ habe er habe bislang keinen ernstzunehmenden Gegenvorschlag gehört.
Diskussionsveranstaltungen
Detering und Göttingen Zero betonen, dass in der verbleibenden Woche bis zur Wahl noch die Chance besteht, Fake News und Polarisierung hinter sich zu lassen und einen neuen Blick auf die relevanten Sachfragen zu richten. Göttingen Zero ruft dazu auf, insbesondere die beiden Diskussionsveranstaltungen im Deutschen Theater am Montag und Dienstag zu nutzten. Klarstellungen zu Gerüchten und Fake News um die Radentscheide bietet die Folge 2 des Göttingen Zero - Podcasts zum Radentscheid.
Den Podcast zum Radentscheid finden Sie auf https://radentscheid-goe.de/