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Wie sieht es derzeit mit der Kommunikation in der Klimabewegung aus?
In der TAZ vor anderthalb Wochen gab es eine Karikatur: zwei Personen stehen auf einem Hügel. Im Hintergrund brennt es. Sagt die eine Person: der Brocken steht in Flammen. Darauf die andere: ohne Waldbrand im Sommer hätte ich nicht mehr an den Klimawandel geglaubt.
Das fand ich überhaupt nicht witzig. Aber es ist leider verdammt treffend für unsere Situation. Wenn man sich die Meinung in der Bevölkerung ansieht, ist die Klimakrise mittlerweile, und tatsächlich schon seit einiger Zeit, unter “ferner liefen” angekommen - und das bei mindestens drei Jahrhundert-Hochwassern innerhalb einer Jahresfrist allein in Deutschland, vielen Waldbränden, Hitzetoten, Erdrutschen, Sturm & Hagel hier und überall auf der Welt. Laut Copernikus waren die letzten 12 Monate die heißesten seit Beginn der Aufzeichnungen.
Es liegt nicht an mangelnder Information, aber die Klimabewegung dringt kaum noch durch. Mindestens ein Viertel der jungen Wähler hat mittlerweile Angst - nein nicht vor den Folgen des Klimawandels, sondern vor den Grünen. Die Menschen entkoppeln sich zunehmend von der Realität.
Was passiert da und was können wir machen?
Für Vincent August, Soziologe aus Berlin, ist das völlig klar: “Es ist gelungen, die Gegenseite als Gefahr zu framen”. Er nennt es Gegeneskalation, einen Klassiker der Konfliktforschung.
Das geschieht durch die Herstellung eines direkten Zusammenhangs von Umweltthemen mit tief verwurzelten Ängsten:
- Abschaltung der letzten deutschen AKWs -> Zerstörung der Wirtschaft durch die Grünen
- Heizungsgesetz -> Verarmung breiter Bevölkerungsschichten
- Tempolimit -> das Ende der Freiheit
- Agrar-Dieselsteuer -> Die Deutschen werden verhungern
- Kreuzungsbesetzungen -> Terrorismus und Klima-RAF
und es gibt noch viele andere Ängste in der Bevölkerung wie Planwirtschaft, Sozialismus und auch die vor Gewalt und Kriegen, die noch genutzt werden können.
Der Angriff auf den Klimaschutz wird herbeigeführt durch diese Skandalisierungen und Fehlinformationen - eine sehr bewusste Strategie der Klimaschutzverhinderer der fossilen Lobby. Diese Gegner besitzen eine immense Überlegenheit in Sachen Geld, wirtschaftliche, politische und journalistische Einflussmöglichkeiten. Und der Angriff ist fulminant und absolut skrupellos.
Wir müssen uns ehrlich machen. Wir wissen schon lange, wer diese Gegner sind und was sie vorhaben. Es geht ihnen um die Deutungshoheit über die Maßnahmen gegen die Klimakrise. Da die Fakten über die Auswirkungen und die Verursacher dieser Krise ziemlich offensichtlich sind, ist ihre einzige Möglichkeit die großangelegte Vernebelung und die gegenseitige Aufwiegelung. Genau das ist es, was sie tun. Aber wir haben wohl nicht mit dieser unverhohlenen Dreistigkeit und deren Wirksamkeit gerechnet.
Und sie haben dabei ebenso rücksichtslose Kumpanen: die Neuen Rechten, unterstützt ebenfalls vom fossilen Komplex im Westen wie im Osten, die ihrerseits die gleiche Strategie zur Zerstörung der Demokratie nutzen: großangelegte Vernebelung und die gegenseitige Aufwiegelung. Steve Bannons: “flood the zone with shit” ist eine exakte Beschreibung dessen, was auch bei der Bekämpfung der Klimabewegung geschieht. Der Kampf für das Klima ist deshalb unmittelbar verwoben mit dem Kampf gegen Rechts. Und bislang ist dieser Kampf für uns ein ziemliches Kommunikationsdesaster.
Wie könnten brauchbare Antworten aussehen?
Im Wissen um die Wirkung von Treibhausgasen zu sagen “ihr habt sie doch nicht alle” ist zwar völlig richtig, wird aber leider nicht reichen. Jetzt zum wiederholten Male mit den Folgen der Klimakrise die Angst zu instrumentalisieren, wird ebenfalls nicht reichen, denn die Angst ist es, die die Menschen vor allem engstirnig und verschlossen macht.
Wir haben aber hier in Göttingen in diesem ganzen Desaster ein Beispiel für eine außerordentlich gelungene und bislang erfolgreiche Kommunikation erlebt.
Der Göttinger Radentscheid.
Zumindest die allgemeinen Strategien sind mit klarer Mehrheit angenommen worden, und auch für die detaillierten Einzelschritte waren fast die Hälfte der abgebenen Stimmen. Nach einer beispiellosen Lügenkampagne der Verwaltung und der Haushaltskoalition vor allem vor, aber auch noch nach der Abstimmung, war die Stimmung im letzten Umweltausschuss plötzlich gekippt: man will nun mit den Initiatoren der Kampagne zusammenarbeiten. Was sind die entscheidenden Merkmale für dieses Gelingen? Das sollten wir uns genauer ansehen:
- die klare Beschreibung eines Ziels und einer Botschaft
- keine Verschleierung oder Verharmlosung der Folgen, sondern ein Abwägen der Alternativen
- vor allem harte Arbeit: bestimmt 20.000 Einzelgespräche mit allen Teilen der Bevölkerung, was zu einem breiten Diskurs durch die gesamte Stadtgesellschaft geführt hat
- öffentliche Veranstaltungen, die die Tricksereien, Lügen und Inkompetenzen der Gegner offen gelegt und zu medialer Verbreitung geführt haben
- gleichzeitig ist den Gegnern stets die Tür für Gespräche offen gehalten worden.
Ob das Ziel damit erreicht wird, ist allerdings noch offen, denn jetzt ist in der Stadt kein Geld mehr da. Dies zeigt ein weiteres Problem, dem wir uns dringend stellen müssen:
Die Krise öffentlicher Finanzierung
Göttingen ist finanziell am Ende, obwohl es noch gar keine wirkliche Krise, wie eine Überschwemmung gab - und es ist nicht allein mit seinem Haushaltsdefizit. Überall werden die öffentlichen Gelder knapp, obwohl für die Transformation gigantische Investitionen erforderlich sind, und gleichzeitig deutlich wird, wie hoch die Kosten für die Klimafolgen sein werden, selbst wenn die Transformation schnell gelingt.
Während aber für Investitionen ein Lockern der Schuldenbremse vertretbar und sinnvoll ist, sind die Klimafolgen schon jetzt ein strukturelles Defizit, das sich nicht amortisieren wird, sondern im Gegenteil tendenziell immer defizitärer wird.
Daher brauchen wir mehr Abgaben vor allem in Richtung der Daseinfürsorge, sowohl kommunaler als auch überregionaler, und zwar sozial gerecht von denen, die diesen Schlamassel überproportional verursacht haben und immer noch verursachen: den Reichen zehn Prozent der Bevölkerung, die ein Drittel des CO2 in Deutschland ausstoßen. Und wir brauchen endlich die Rückerstattung der Abgaben auf CO2, die auch die Ärmeren betreffen, in Form des Klimageldes, damit die Akzeptanz die Lenkungswirkung dieser Abgaben erhöht.
Die Aufgaben, die wir haben, werden nicht kleiner, deshalb:
Zusammen für eine bessere Zukunft
Göttinger Klimabündnis, Ulrich Schwardmann, Göttingen