Die CO2-Budget-Rechnung für Göttingen

Warum laut Klimaplan 2030 die Göttinger in zehn Jahren mehr CO2 verbrauchen können als die restlichen Bundesbürger

Geposted von " Göttinger Klimabündnis " am Sunday, June 27, 2021

Der Weltklimarat (IPCC) hat in seinem Sonderbericht von 2018 zum Pariser 1,5°-Ziel globale Emissionsbudgets für verschiedene Temperaturerhöhungen mit Wahrscheinlichkeiten zu deren Einhaltung berechnet. Diese Budgets ermöglichen es, die etwas vage Formulierung des Pariser Klimaabkommens konkret zu machen, und sie können leicht auf Länder, Regionen, Städte heruntergebrochen werden. CO2-Budgets stellen die Verbindung zwischen der Physik der Klimakrise und der politischen Handlungsebene her. Sie machen politische Verantwortung messbar, sie sind gewissermaßen die Inzidenzzahlen der Klimakrise. Aber sie müssen dabei korrekt auf den jeweilig zugrundegelegten Anteil der Emissionen bezogen werden.

Der Sachverständigenrat für Umweltfragen für Deutschland1 berechnet für das Jahr ab Anfang 2019 ein restliches CO2-Budget von 7,3 Gt, dass eine Temperaturerhöhungen von 1,75°C noch mit einer Wahrscheinlichkeit von Zweidrittel eingehalten werden kann. Dieses Budget wird noch gerade als mit den Pariser Klimazielen einer Temperaturerhöhung deutlich unter 2°C vereinbar angesehen.

Bundesweit sind 2019 noch einmal 0,7 Gt emittiert worden, sodaß das BRD-weite Emissionbudget Anfang 2020 bei 6,6 Gt lag. Bei einer gleichmäßigen (linearen) Abnahme der Emissionen reicht dieses Budget noch bis maximal bis 2038. Die derzeit im bundesweiten Klimaplan beschlossene Klimaneutralität im Jahre 2045 ist damit, trotz der Verkürzung um fünf Jahre, nicht mit den Pariser Klimazielen im Einklang. Ob daher diese Verschärfung in den bundesweiten Klimazielen den Ansprüchen des Verfassungsgerichts vom 24.3.2021 genügt, kann bezweifelt werden.

Das CO2-Budget, das vom Planungsbüro für Göttingen berechnet wurde, geht hiervon aus und überträgt dieses Budget auf die Stadt Göttingen aufgrund seiner Einwohnerzahl anteilig an der bundesdeutschen Bevölkerung 2 mit einem Wert von ca. 10,7 Mio. t für Anfang 2020.

Da die Göttinger CO2-Emissionen im Jahre 2019 etwa 0,87 Mio. t betrugen, würde dieses so berechnete CO2-Budget fast 25 Jahre, also bis zum Jahre 2045, sieben Jahre länger als für die BRD berechnet, reichen. Wie kommt es zu diesem Unterschied?

Das personenbezogene CO2-Budget jedes einzelnen bundesdeutschen Bürgers am deutschen Gesamtbudget, und damit auch das jedes Göttinger Bürgers, beinhaltet dessen gesamten CO2-Verbrauch, also auch die Emissionen, die ausserhalb der Stadtgrenzen Göttingens entstehen, wie z.B. durch Konsumgüter, Fernreisen, medizinische Versorgung oder landwirtschaftliche Erzeugnisse.

Die Messungen im Masterplan 100% Klimaschutz für Göttingen beziehen sich, wie bei allen Masterplan-Kommunen nicht auf den gesamten, sondern nur auf den CO2-Verbrauch innerhalb der Stadtgrenzen Göttingens (Territorialprinzip nach BISKO). Daher ist auch der personenbezogene CO2-Verbrauch jedes Göttinger Bürgers nach der territorialen Rechnung entsprechend geringer als sein bundesdeutscher Verbrauch. Dabei reicht es nicht, wie im jetzt vorgelegten Klimaplan2030 3 vorgeschlagen, nur den nicht energetischen Teil (7%) aus dem personenbezogenen CO2-Budget auszuklammern, was zu einem CO2-Budget von etwa 10 Mio t führt. Es muss vielmehr auch der energetische Anteil der Emissionen abgezogen werden, die ausserhalb der Stadtgrenzen Göttingens durch sonstigen Konsum entstehen.

Denn wenn im Budget das nicht territoriale CO2 enthalten ist und es im Verbrauch ausgeklammert wird, wird das CO2-Budget, was damit scheinbar länger hält, entsprechend überbucht, weil der nicht erfasste Restverbrauch natürlich trotzdem entsteht.

Der Anteil der territorial gemessenen CO2-Emissionen4 pro Kopf im Verhältnis zu den bundesweiten pro Kopf CO2-Emissionen war 0,716 im Jahre 2018. Damit beträgt also der territorial gemessene Verbrauch nur etwa drei Viertel des bundesweit gemessenenen Durchschnitts-CO2-Verbrauchs.

Die gleichmäßigen Verminderungen der CO2-Emissionen Göttinger Bürger im Vergleich zur BRD (auf die hier normiert wurde) haben damit den folgenden Verlauf.

CO2-Emissionen der Göttinger und der BRD Bürger (normiert auf die
bundesweiten Emissionen)

Die Fläche unter beiden Geraden entspricht dem personenbezogenen CO2-Budget und ist daher in beiden Fällen die gleiche. Aber durch die wesentlich längere Zeit bis zur Klimaneutralität leistet sich Göttingen mit dem Klimaplan2030 den Luxus, in etwa zehn Jahren mehr CO2 zu emittieren, als das in der übrigen BRD im Rahmen der Pariser Klimaziele möglich wäre.

Um es auf die territorial gemessenen CO2-Emissionen anwenden zu können, ist für das territoriale CO2-Budget mit den Emissionszahlen nach BISKO das personenbezogene CO2-Budget mit diesem Verhältnis zwischen territorialem und personenbezogenem Verbrauch, also dem Faktor dreiviertel zu multiplizieren und beträgt demzufolge nur 7,94 Mt.

Dies führt zu einer entsprechenden Verkürzung der Zeit bis zum Aufbrauchen des Budgets um etwa acht Jahre, bei Annahme einer lineraren CO2-Reduktion. Bis etwa 2037 ist daher Klimaneutralität zu erreichen (bei der Annahme des Einhaltens von +1,75°C mit einer Wahrscheinlichkeit von 67%), also etwa ein Jahr, und nicht, wie bisher angegeben, 10 Jahre länger als die entsprechende deutschlandweite Zeit.

Für die Berechnung und Begründung von Zwischenzielen sind lineare Reduktionspfade zwischen diesen Zielen ein sinnvolles Maß zur Budgetabschätzung. Ein Zwischenziel von 35% bis 2030, Klimaneutralität im Jahre 2045 beruht auf dem bislang personenbezogenen Budget für Göttingen und führt zu einer Überbuchung von mehr als 25%, wie in der der folgenden Grafik dargestellt.

Für Klimaneutralität im Jahre 2045 braucht Göttingen ein Zwischenziel
von etwa 23% für 2030

Wenn das auf das Territorialprinzip angepasste CO2-Budget für +1,75°C herangezogen wird, muss, um Klimaneutralität bis 2045 zu erreichen, ein Zwischenziel von etwa 23% für 2030 gegenüber 1990 angestrebt werden. Um wenigstens noch mit 50% Wahrscheinlichkeit unterhalb von +1,5°C zu bleiben, müsste Göttingen bis 2032 klimaneutral sein.

uScw, Göttingen, den 27.6.2021


  1. Für eine entschlossene Umweltpolitik in Deutschland und Europa: Umweltgutachten 2020, ISBN 978-3-947370-16-0, S. 52 ↩︎

  2. Klimaschutz 2030 - Wo steht Göttingen? Evaluationsbericht zum Masterplan 100% Klimaschutz, Fußnote auf S. 16 ↩︎

  3. Konzeptband des Klimaplan2030, S. 13, https://ratsinfo.goettingen.de/bi/vo020.asp?VOLFDNR=22082    ↩︎

  4. 0,874 Mio t CO2 im Jahre 2018 für 134632 Göttinger im Verhältnis zu 754 Mio t für 83122889 Bundesbürger. ↩︎