Wir haben die Wahl - Entweder handeln wir zusammen oder wir begehen kollektiven Suizid

Plädoyer im Prozess gegen eine Klimaaktivistin zu einer 'Rebellion of Some'

Geposted von " XR und GöKB " am Thursday, September 29, 2022

Am 4.1.23 fand eine Gerichtsverhandlung gegen mich statt. Ich habe im letzten Februar in Göttingen bei einer Rebellion of Some von Extinction Rebellion teilgenommen. Wir saßen zu siebt in einer Reihe auf einer der Straßen beim Weender Tor und trugen vorne und hinten Schilder, auf denen wir unsere Ängste vor der Klimakrise geschrieben hatten. Die Aktion war von der Polizei direkt als Versammlung gewertet worden und dann auch sofort auf den Gehweg beschränkt worden. Da wir sitzen blieben, wurde mir eine Ordnungswidrigkeit vorgeworfen, gegen die ich Einspruch eingelegt habe, sodass es zu diesem Gerichtprozess kam.

Im Folgenden lesen Sie mein Plädoyer, das ich bei der Verhandlung vortrug.

Plädoyer

»Wir haben die Wahl. Entweder handeln wir zusammen oder wir begehen kollektiven Suizid«, sagte UN-Generalsekretär António Guterres beim Petersberger Klimadialog. Das macht mir Angst. Eigentlich hatte ich überlegt, Ihnen keinen Vortrag über die Klimakrise zu halten, Sie haben vieles bestimmt schon häufig genug gehört, fahren bestimmt öfter mal Fahrrad und so weiter. Doch wenn Sie vorhaben, mich jetzt für mein Handeln zu verurteilen, denke ich, ich sollte Ihnen vielleicht ein paar Fakten vorführen. Mich würde interessieren, ob sie die Zusammenfassung für Entscheidungsträger:innen des sechsten IPCC-Berichts gelesen haben. Im IPCC-Bericht steht, dass wir in Deutschland vielleicht noch 2-3 Jahre Zeit haben, um alles verändernde Maßnahmen einzuleiten, damit wir das 1,5°-Ziel, das eigentlich nicht Ziel, sondern Grenze genannt werden sollte, nicht verfehlen. Weniger konservative Gruppen, behaupten schon jetzt, wir haben überhaupt gar keine Zeit mehr, und dass 1,5° Erwärmung bereits um 2030 erreicht werden. Das ist in sieben Jahren!

Schon jetzt sind wir bei einer global erhöhten Mitteltemperatur von etwa 1,1°C und wir können jetzt schon starke Auswirkungen zum Beispiel in Form von Hitzesommern und Dürren bis hin zu Fluten und auftauenden Permafrostböden bemerken. Aktuell sterben täglich etwa 3-130 Arten unwiederbringlich aus. Bei einer Erwärmung von 2°C werden 25% aller Arten aussterben. Mit der aktuellen Klimaschutzpolitik steuern wir jedoch auf eine Erwärmung von 3-4°C zu, bei der zahlreiche Kipppunkte zu einer weiteren Beschleunigung der Klimakrise führen können: Auftauende Permafrostböden, abbrennende Regenwälder, oder schmelzende Gletscher… Ich fühle mich gar nicht in der Lage, das Ausmaß des Schreckens adäquat zu beschreiben. „Ich fürchte, dass ich den Rest meines Lebens damit verbringen werde, der Natur beim Sterben zuzusehen“, sagte eine Freundin mal und das befürchte ich genauso. Und trotzdem machen wir weiter wie bisher, rasen ungebremst auf Autobahnen und es wurde sogar ein neues Kohlekraftwerk gebaut. Wie kann das sein?

Ich bin wirklich verzweifelt und sehe für mich keine Zukunft. Ich sehe mich stark eingeschränkt von der politischen Situation, da ich mein Leben nicht frei leben kann, sondern mich stattdessen gezwungen sehe, politischen Entscheidungsträger:innen Druck zu machen, weil sie ihre Aufgaben, wie den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen, nicht erfüllen. Obwohl gerade auch in den letzten Jahren die Proteste enorm zugenommen haben, z.B. durch die Demonstrationen von Fridays for Future, wird trotzdem noch an politischen Beschlüssen festgehalten, die eine Klimaerwärmung von mehr als 1,5°C und sehr wahrscheinlich sogar mehr als 2°C bewirken werden.

  • Das ist mehr, als worauf sich die Staaten international in Paris geeinigt haben.
  • Das ist mehr, als in Deutschland verfassungsrechtlich bindend ist.
  • Das ist mehr, als wir wagen dürfen, wenn wir nicht den Zusammenbruch unserer Zivilisation und ein unvorhersehbares Weltklima riskieren wollen.
  • Das ist zu viel!

Daher ist für mich die logische Konsequenz, dass andere Aktionsformen nötig werden, die nicht ignoriert werden. So war ich dann also am 1.2.2022 mit Extinction Rebellion bei einer Rebellion of Some. Ich berufe mich auf den Paragraphen 16 des Ordnungswidrigkeiten Gesetzes, den „Rechtfertigenden Notstand“.

So wie ich das als Nichtjuristin verstehe, befinden wir uns in einem durch den menschengemachten Klimawandel ausgelösten Notstand, der Leben, Leib und Freiheit und andere Rechtsgüter bedroht. Oder muss eine Dürre erst länger als drei Jahre andauern (länger als die Dürre von 2018-2020, und dann nochmal im letzten Jahr)? Muss erst auch in Göttingen die Leine überfluten (reicht es nicht, dass immer noch ein Drittel Pakistans unter Wasser steht)? Müssen erst auch hier Wirbelstürme unsere Dächer abdecken und Hitzewellen schlimmer sein als letzten Sommer und noch mehr von unseren Großeltern dahinraffen? Muss es erst zu Nahrungsmittelknappheit und Wassermangel kommen? Wäre es dann, wenn wir hungern und dursten, erst gerechtfertigt, sich für länger als 17 Minuten auf die Straße zu setzen um für Klimaschutz zu protestieren? Dann könnte es aber schon zu spät sein.

„Ich habe Angst, dass wir erst handeln, wenn es zu spät ist.“ Das stand auf meinem Schild am 1.Februar.

Der Paragraph 16 des Owi Gesetzes verlangt nach einer gegenwärtigen Gefahr. Gegenwärtig leiden Menschen und andere Tierarten darunter. Gegenwärtig haben viele Menschen Angst vor der Zukunft, einem Zivilisationszusammenbruch und sind belastet durch die Ungewissheit, die die Klimakrise mit sich bringt. Der Klimabericht sagt, jetzt muss gehandelt werden. Wie gegenwärtig muss diese Gefahr denn sein?

Wir haben außerdem die widerstreitenden Interessen abgewogen, deshalb haben wir eine Fahrspur frei gelassen, sodass die sich stauenden Autos abfließen konnten. Allerdings wäre auch eine komplette Blockade zu rechtfertigen gewesen, finde ich. Die Handlung muss außerdem ein angemessenes Mittel zum Abwenden der Gefahr sein, so §16 Owi. Wir sind uns bestimmt einig, dass diese Blockade niemals allein die Klimakatastrophe stoppen könnte, das wäre auch anmaßend zu denken. Es war nur eine von unglaublich vielen Aktionen weltweit, die vielleicht – hoffentlich bald irgendwann! – einen Umschwung bewirken müssen. Was ich berichten kann, ist, dass eine Person von unserer Aktion zu Tränen gerührt war, als sie unsere Schilder las, auf denen unsere Ängste vor der Klimakatastrophe standen. Ich bin mir sicher, dass es etwas in ihr bewirkt hat. Und eine Person hat die Aktion gesehen und sich uns später angeschlossen. Eine Auswirkung unserer Aktion war auch die mediale Begleitung und eben auch, dass ich jetzt mit Ihnen darüber sprechen kann.

Es war das mildeste mir zur Verfügung stehende Mittel, das ich gewählt habe, um im geeigneten Maße auf die Notsituation der Klimakrise hinzuweisen. In der Vergangenheit wurde argumentiert, dass, wenn der Rechtfertigende Notstand greift, der Protest kein Ziviler Ungehorsam mehr sein könne, weil der Protest ja dann legal sei. Das kann meinetwegen stimmen. Doch das würde bedeuten, dass Klimaproteste nicht mehr aufgelöst werden könnten, was wiederum bedeuten würde, dass die Politik gezwungen wäre, etwas gegen den Klimawandel zu unternehmen, wenn sie die Klimaproteste beenden möchte. Dies ist das Ziel meines Protests. Nicht wie zuvor irrtümlich angenommen, dass mein Protest als ZU bezeichnet werden kann.

Mein Protest ist auch nicht undemokratisch, da sowohl das Verfassungsgericht, als auch die Wissenschaft bestätigt hat, dass die Politik nicht ambitioniert genug ist. Diese beiden Instanzen haben nur scheinbar keine Möglichkeiten, die Politik zu sanktionieren, also müssen wir als Bürger:innen handeln. Auch eine kleine Menge an Menschen muss in einer Demokratie Gehör finden können.

Ein weiteres Argument einer anderen Verhandlung, was ich hiermit vorweg nehmen will, war, dass ja dann auch Corona-Leugner:innen oder Nazis die gleichen Methoden wie wir nutzen könnten. Klar, können andere Gruppen auch ZU für ihre Forderungen einsetzen, aber wenn ihre Meinungen Blödsinn sind, muss man ihnen ja nicht Recht geben. Wir setzen uns aber nicht für unsere Meinung ein, sondern agieren auf Grund von wissenschaftlichen Fakten. Und die vermeintlich verletzten Rechtsgüter jener sind von vollkommen anderer Natur als die Rechtsgüter, die durch die Klimakrise verletzt werden.

Egal, wie früher geurteilt wurde, müsste doch trotzdem jedes Mal neu geurteilt werden, ob der Klimawandel mittlerweile als rechtfertigender Notstand für zivilen Ungehorsam einzustufen ist. Das ist damit zu begründen, dass die Klimakatastrophe immer weiter bisher ungebremst fortschreitet und sich die Situation daher immer weiter verschärft.

Sobald ich von wissenschaftlicher Seite aus darüber aufgeklärt werden kann, dass wir uns nicht in Gefahr durch die Klimakatastrophe befinden, da genug Maßnahmen zur Abwendung dieser ergriffen werden, sehe ich ein, dass ich rechtswidrig handelte und würde auch in Zukunft nicht mehr zu solchen Mitteln greifen. Mein derzeitiger Informationsstand über die Klimakatastrophe ist jedoch, dass wir höchstwahrscheinlich auf eine Heißzeit zusteuern, in der menschliches Leben nur sehr begrenzt möglich sein wird. Dies alarmiert mich zutiefst und vermittelt mir den Eindruck eines sehr dringlichen Notstands.

Und wenn es nicht der Paragraph 16 OWiG ist, der greift, wäre nicht auch der Paragraph 20 des Grundgesetzes „Recht auf Widerstand“ eine Legitimierung Ordnungswidrigkeiten zu begehen? Denn die natürlichen Lebensgrundlagen nicht zu schützen, beseitigt auf lange Sicht jegliche staatliche Ordnung. Das Verfassungsgericht hat geurteilt, dass das vorgelegte Klimaschutzgesetz nicht genug ist. Zusätzlich warnen tausende Wissenschaftler:innen, dass aktuell angestrebte „Klimaziele“ nicht reichen werden.

Ab wann also kann man davon ausgehen, dass die Politik es nicht mehr schafft, die Ordnung aufrechtzuerhalten? Ab wann beseitigt die Politik durch ihre Untätigkeit die bestehende Ordnung? Sie könnten mich dafür also verurteilen, dass ich nicht aufgestanden bin, als die Polizei mich dazu aufforderte. Doch hatte die Polizei wirklich das Recht, die Versammlung auf den Bürgersteig zu verlegen? Haben wir mit einer halben Straßenblockade die öffentliche Sicherheit oder Ordnung gefährdet? Und ist nicht der Grund der Versammlung – diese Bedrohung der gesamten Menschheit, und unzähliger anderer Tier- und Pflanzenarten – wichtig genug, um auch Raum auf der Straße einzunehmen? Länger als 17 Minuten?

Ich denke mal, ich werde jungen Menschen in Zukunft noch in die Augen schauen können, obwohl ich nicht so viel Mut bewiesen habe, wie Menschen der Letzten Generation oder Menschen, die auch jetzt gerade im Winter in Lützerath leben und gegen den Kohleabbau kämpfen. Haben Sie ein reines Gewissen, wenn Sie friedliche Klimaaktivist:innen verurteilen? Sehen Sie das als Gerechtigkeit an?

Wenn Sie mich verurteilen wollen, dann sollten Sie mich meiner Meinung nach dafür verurteilen, dass ich nicht genug getan habe. Dass wir eine Fahrbahn frei gelassen haben, dass ich mich nicht festgeklebt habe, dass ich im Angesicht dieser furchtbaren drohenden Gefahr des beschleunigenden Klimawandels mich bloß mit ein paar anderen und zwei Schildern auf die Straße gesetzt habe. Ich fühle mich schuldig, weil ich bisher nicht mutig genug bin, mich anzukleben, oder höhere Repressionen in Kauf zu nehmen. Ich fühle mich schuldig, weil ich als privilegierte deutsche Staatsbürgerin mitverantwortlich dafür bin, dass weltweit Menschen leiden oder in Zukunft lebensbredrohlichem Leid ausgesetzt sein werden. Dabei kostet mich ein Widerstand dagegen höchstens ein Bußgeld, vielleicht eine Gewahrsamnahme oder so. In anderen Teilen der Welt riskieren Menschen ihr Leben im Kampf gegen die Klimakrise.

Ob die Aktion am 1. Februar 2022 einen Einfluss hatte, wird man niemals wissen, aber im Angesicht der zivilisations- und existenzbedrohenden Klimakatastrophe habe ich meiner Meinung nach in Abwägung aller Rechtsgüter angemessen gehandelt.

Sie können mich also verurteilen. Sie können das Bußgeld erhöhen oder verringern, oder das Verfahren einstellen – das würde alles keinen Effekt auf mein Handeln haben. Was jedoch einen Effekt haben könnte, wäre, wenn Sie mutig genug sind, mich frei zu sprechen, so, wie es mittlerweile endlich in einigen Strafverfahren gegen die Letzte Generation erstmals geschehen ist. Wenn sich der juristische Konsens verschiebt, können sich ganz neue Möglichkeiten auftun. Also bitte ich Sie inständig, sich Ihrer Rolle in der Welt bewusst zu werden. Als Richter:in besitzen sie eine gewisse Macht. Und auch als Mensch. Sie können sich mit Ihrer Expertise dafür einsetzen, das wir den Wandel zu einer nachhaltigen Welt hinkriegen. Bitte denken Sie an zukünftige Generationen, an bedrohte Tier- und Pflanzenarten, an die wunderschönen Ökosysteme, die es hier überall gibt, wenn Sie jetzt urteilen. Danke

Nach dem Plädoyer und einer Pause erklärte die Richterin noch, dass der Bußgeldbescheid ohnehin durch die Staatsanwaltschaft weitergeleitet worden war, daher hatte diese den bereits geprüft und hätte selbstständig eine Nötigungsklage gestarten, wenn dies nötig gewesen wäre.

Also handelte es sich nur um eine Bußgeldsache. Sie erklärte, dass sie das Bußgeld auf 80€ (ursprünglich 178,50€) hinabsetzen würde, zuzüglich Gerichtskosten, aufgrund von meiner finanziellen Situation. Sie sagte, die Beschränkung der Polizei, die Versammlung auf den Gehweg zu verlegen, sei rechtmäßig, da es das angeblich mildeste Mittel dieser gewesen sei. (Dabei darf die Polizei eine Versammlung, die die öffentliche Sicherheit nicht gefährdet, überhaupt nicht auflösen.) Sie wollte auf die Klimakrise nicht weiter eingehen, da das unstrittig sei. Sie meinte Ziviler Ungehorsam kann nicht als Rechtfertigungsgrund genutzt werden (was ich ja auch nicht versucht hatte!). Sie behauptete, es gäbe mildere Mittel als Straßenblockaden, zum Beispiel eine Versammlung am Rand der Straße. Nach Ende der Verhandlung sagte sie noch, dass sie es gut und mutig fände, was wir tun.

Fiona von Extinction Rebellion