PM: BfnS kritisiert Haushaltsumfrage zum Mobilitaetsverhalten

Das vom Rat beschlossene Monitoring im Sektor Verkehr muss endlich durchgeführt werden

Geposted von " Bündnis für nachhaltige Stadtentwicklung Göttingen " am Saturday, October 15, 2022

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Monitoring statt Haushaltsumfragen

Das Bündnis für nachhaltige Stadtentwicklung Göttingen kritisiert die von der Stadt im Mai 2022 durchgeführte Haushaltsumfrage zum Mobilitätsverhalten als ungeeignet, da die Daten nicht ernsthaft zu verwerten sind und weder das wirkliche Verkehrsaufkommen noch die CO2-Emissionen für die städtischen Treibhausgasbilanzen daraus ermittelt werden können.

Das BfnS fordert die Stadt auf, statt weiter auf solche Umfragen zu setzen, endlich das im Zuge des Klimaplans 2030 am 16.07.2021 vom Rat beschlossene Monitoring im Sektor Verkehr durchzuführen und die tatsächlichen CO2-Emissionen auf den städtischen Straßen durch Messungen seriös zu ermitteln.

Die umstrittene Umfrage ermittelt nur das Verkehrsverhalten der städtischen Wohnbevölkerung, was nur einen geringen Teil des Verkehrs auf den Göttinger Straßen ausmacht. Nicht erfasst wird der Pendlerverkehr aus großen Teilen des Landkreises, den Nachbarkreisen und den weiter entfernten Städten. Ebenso wird der gesamte gewerbliche Verkehr ausgespart, einschließlich des Online-Lieferdienstverkehrs, der in den letzten Jahren sprunghaft angestiegen ist. Schätzungsweise 80 % des Göttinger Autoverkehrs wird in dieser Umfrage ausgeblendet.

Die Ergebnisse der Umfrage erscheinen ungeeignet und widersprechen den Daten, die über den Göttinger Verkehr aus anderen Datenquellen zur Verfügung stehen.

Ungeeignet, weil auch Strecken außerhalb Göttingens erfasst wurden, die die Göttinger Verkehrsplanung gar nicht tangieren. Ein kurioses Ergebnis ist, dass 19 % der täglich von Göttinger Personen zurückgelegten Verkehrswege mit der Bahn erfolgen. Vermutlich ein Effekt, der sich aus der Erfassung von Pendlerverkehren nach Hannover ergibt - ob Göttinger Einwohner zwischen Elze und Nordstemmen im Zug sitzen, hat für die Stadt keinerlei Planungsrelevanz.

Fahrräder werden seit 2014 an mehreren Zählanlagen in der Innenstadt und Nordstadt Tag für Tag erfasst. Die Haushaltsumfrage bezieht sich nur auf wenige Tage und die Ergebnisse legen nahe, dass das Wetter eine entscheidende Rolle spielt. 2016 wurden die Umfragen an kalten und regnerischen Tagen im November und April durchgeführt (Präsentation Umweltausschuss 28.02.2017), 2022 bei schönem Wetter im Mai. Umfrage 2016 bei Regen: 298.000 km, Umfrage 2022 bei Sonne: 351.000 km + E-Bikes 67.000 km, = 40 % Zunahme. Aus diesen Daten kann man nur herauslesen, dass bei gutem Wetter mehr Fahrrad gefahren wird, was man allerdings auch so weiß. Die über ein halbes Jahr objektiv gemessenen Zahlen an der Zählstelle Berliner Straße stellen verlässlichere Daten zur Verfügung: 1. Halbjahr 2016: 514.000 Räder, 1. Halbjahr 2022: 477.000 Räder, = 7 % Abnahme. Seit 2014 wird an den Zählstellen im Schnitt eine leichte Abnahme des Radverkehrs beobachtet.

Verglichen mit den Daten der Zählanlagen anderer Städte ist Göttingen die einzige Stadt, die seit 2016 insgesamt einen Rückgang beobachtet (siehe dazu die beigefügte Grafik).

Bei den Bussen hingegen liegen die Zahlen der Umfrage offenbar unter den Fahrgastzahlen der Busunternehmen. Während aus der Umfrage ein Rückgang in den Fahrstrecken von 50 % ermittelt wurde, gibt die GöVB für 2022 einen schwächeren Rückgang auf etwa 60 % des Vor-Corona-Niveaus an. Auch hier die Frage: Wo liegt der Fehler?

Für den Autoverkehr liegen öffentlich zugängliche Daten nur dann vor, wenn die Stadt bei Bauplanungen verpflichtet ist, den Autoverkehr zu zählen. Die Haushaltsumfrage ergab einen Rückgang der Pkw-Fahrleistung von 1,21 Millionen km in 2016 auf 1,02 Mio km in 2022, also eine Abnahme von 16 %. In Wirklichkeit muss es in dieser Zeit eine gewaltige Zunahme gegeben haben, die aus verstreuten Daten zu erahnen ist, die sich aus punktuellen Verkehrsgutachten, der gestiegenen Zahl der gemeldeten Autos oder den Beobachtungen der Busunternehmen ergeben. Die GöVB geben die Rückmeldung, dass die Busse aufgrund des stark gestiegenen Kfz-Verkehrs seit etwa 5 Jahren immer langsamer durch die Stadt kommen. Stadtbusse kommen durch die neue Freischaltfunktion schneller über die Ampeln, stehen aber viel länger im Autostau als früher.

Auch die Nutzung der Daten erscheint fragwürdig. So wurde am 07.10.2021 in einem Gutachten zur Oberen Masch-Straße aus den Modal Split-Daten der Haushaltsumfrage ein erstaunlich hohes Pkw-Verkehrsaufkommen von 800 Pkw pro Tag für 530 Einwohner der nordwestlichen Innenstadt zugrunde gelegt. Dass die Bewohner dieses Teils der Innenstadt viel weniger Autos haben als in den Außenbezirken und diese viel weniger nutzen, wurde nicht berücksichtigt.

“Was kann man mit diesen Umfragedaten anfangen? Man kann rumrätseln, wo die Fehler liegen, man kann sich die Welt schönreden, oder man kann Einwohnern der Innenstadt Autos andichten, die sie nicht haben - aber zu wirklich sinnvollen Zwecken sind diese Daten nicht zu verwenden. Ich halte das für Steuergeldverschwendung. Viel wichtiger wäre es, endlich die tatsächliche Kfz-Fahrleistung auf den städtischen Straßen mit Messungen zu ermitteln, auch weil diese Daten für die verkehrspolitischen Zielsetzungen und die Treibhausgasbilanzen von enormer Bedeutung sind”,

so Ratsmitglied Francisco Welter-Schultes.

Unzweifelhaft ist, dass mit den Daten etwas nicht stimmen kann und weder die Verkehrsentwicklung in der Stadt noch die der klimaschädlichen CO2-Emissionen im Sektor Verkehr glaubwürdig abgebildet werden. Fatal wäre es, wenn die Neuauflage des Klimaplans Verkehr auf den ungeeigneten Haushaltsumfragewerten aufbauen sollte. 2015 wurde in diesem Plan als Ziel eine Reduktion der Kfz-Fahrleistung auf den städtischen Straßen um 30 % bis 2025 festgelegt - ohne zu ermitteln, wie hoch damals die Kfz-Fahrleistung überhaupt war.

Das BfnS fordert dringend, den Ratsbeschluss vom 16.07.2021 umzusetzen und ein CO2-Monitoring im Sektor Verkehr durchzuführen. Basierend auf diesen Daten sollte dann der Klimaplan Verkehr ausgearbeitet werden.

Grafik Städtevergleich

Radverkehrsaufkommen seit 2016, ermittelt von Zählanlagen in verschiedenen Städten in Vergleich. Die Daten von 2 der 3 Göttinger Zählstellen stehen nicht im Netz und liegen für 2022 noch nicht vor. Quelle: Daten der Zählanlagen, über Seiten von eco-counter.com

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