Die falschen energiepolitischen Prioritäten Russlands

Der Krieg in der Ukraine hat auch seine Wurzeln im Klimawandel

Geposted von " Parents for Future für das Göttinger Klimabündnis " am Wednesday, November 17, 2021

Inhalt

Die Ereignisse der vergangenen Tage machen fassungslos. Das schon erfolgte und das noch kommende Leid der Bevölkerung durch diesen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg ist kaum abzuschätzen. Dieses Leid und die darauf folgenden Fluchtbewegungen wahrzunehmen, und die Bedingungen zu schaffen, dass die Flüchtenden in Europa in Sicherheit gebracht werden, muss die dringlichste und vorangige Aufgabe der Politik der nächsten Tage und Wochen sein.

Von einer Zeitenwende in der Politik ist die Rede. Diese Aussage wird dann allerdings meist speziell damit hinterlegt, dass die bisherigen Orientierungspunkte der Diplomatie zwischen Russland und dem Westen, der EU und Deutschlands versagt haben, dass die Friedensordnung in Europa in Frage gestellt ist, und dass die europäische bzw. weltweite Sicherheitsarchitektur neu überdacht werden muss. Aus den Aussagen Putins zumindest lässt sich mittlerweile klar erkennen, dass für ihn die Bedrohung in dem besteht, was wir als Demokratie bezeichnen.

Aber es lässt sich auch etwas anderes erkennen, das bisher eher in zweiter Linie betrachtet wird, aber das ebenfalls einen beträchtigen Einfluss auf die Entscheidungen im Kreml haben dürfte: die geopolitische Energiepolitik.

Der Anteil der Ausbeutung an Bodenschätzen am russischen Bruttoinlandsprodukt betrug 2021 mehr 12%1 des russischen Inlandsproduktes. Der Anteil fossiler Energieträger an der Ausfuhr der genannten Bodenschätzen beträgt etwa 70%2 Durch die starke Erhöhung der Gas- und Ölpreise dürften sich diese Anteile in beiden Fällen mittlerweile erhöht haben.

Die Ausbeutung fossiler Energien wird in Russland durch staatseigene Konzerne betrieben. Fossile Energien stellen damit eine beträchtliche direkte Einnahmequelle des Staates dar. Ein Rückgang dieser Einnahmen würde die bestehenden Machtstrukturen in Russland in ernste Bedrängnis bringen. Es sind bislang keine Maßnahmen Russlands bekannt, sich aus dieser fossilen Abhängigkeit zu befreien und zum Beispiel erneuerbare Energien in nennenswertem Umfang zu entwickeln oder zu fördern.

Dieses Geschäftsmodell der russischen Machthaber ist daher durch die Pariser Klimaziele direkt bedroht. Jedes Land, dass sich von fossilen Energieträgern befreit, unterminiert dieses Geschäftsmodell. Jede demokratische Entscheidung, die in diese Richtung geht, wird daher massiv bekämpft. Das erklärt das Feindbild der Grünen in den Augen Putins genauso wie die massive Einflussnahme Russlands in die Wahlen der USA zugunsten Donald Trumps.

Geostrategisch spielen damit insbesondere die großen russischen Pipelines eine wesentliche Rolle für den Machterhalt der russischen Führung. Dabei geht es vor allem um die Leitungen durch die Ukraine, durch Weissrussland und um NordStream.

Die Möglichkeit, dass die Ukraine den Gashahn zudrehen kann, wie dies im Russisch-ukrainischen Gasstreit3 deutlich geworden war, stellte und stellt daher für Russland eine ernste Bedrohung dar. NordStream 1 Pipeline war die Antwort, aber sie war nicht ausreichend, um die Ukraine umgehen zu können. Daher wurde mit Hochdruck und mit starker deutscher Unterstützung NordStream 2 gegen die Warnungen vieler europäischer Staaten und der USA installiert. Das Interesse der USA, Gas in die EU zu liefern, macht diese hier zwar unglaubwürdig, aber deswegen sind die Warnungen nicht falsch. Aus dem Verlauf der Pipelines in der Ukraine im folgenden Bild3 lässt sich im Übrigen bereits das geostrategische Interesse Russlands am Donbass erkennen.

Dass nun in Deutschland eine Regierung sitzt, die sich auf absehbare Zeit von fossilen Energien unabhängig machen will, und dass das Wirtschafts- und Aussenministerium von einer Partei geleitet wird, die sich immer klar gegen Nordstream 2 gestellt hat, bedeutet aus Sicht des russischen Machthabers die Gefahr erstens des Verlustes an Einfluss und Gewinn und zweitens der Abhängigkeit von Entscheidungen in der Ukraine. Dies dürfte beim Entschluss zum Überfall auf die Ukraine eine wesentliche Rolle gespielt haben, und stellt eine bessere Erklärung dar, als die unsinnigen Behauptungen Putins zur Begründung seiner Kriegsentscheidung. Jedenfalls lässt sich feststellen, dass trotz eines Krieges in der Ukraine sich die Gaslieferungen aus Russland nicht verändern. Die Versorgungssicherheit muss aus russischer Sicht unbedingt aufrecht erhalten bleiben.

Eine solche Erklärung legt nahe, dass nicht Fehler in der Diplomatie, Unentschlossenheit des Westens, mangelnde oder überhöhte militärische Unterstützung der Ukraine, eine Umzingelung durch die Nato oder der Wahnsinn eines Machthabers der Auslöser des Krieges waren, sondern dass die falschen energiepolitischen Prioritäten und harte Fakten der Klimapolitik Russland um sich schlagen liess. Es wäre eine bittere Erkenntnis, die auch für die Zukunft nichts Gutes ahnen liesse. Es gibt noch etliche andere Länder, viele davon ebenfalls von Despoten beherrscht, die sich nicht von ihren fossilen Träumen lösen können.

Aber neben den Überlegungen, wie es zu diesem Krieg kommen konnte, rückt auch die Frage, wie auf diesen Angriff auf die weltpolitische Ordnung zu antworten ist, in den Fokus. Gegenüber den bellezistischen Rufen nach Militär und Waffen hat sich derzeit die Erkenntnis durchgesetzt, dass harte Sanktionen das Mittel der Wahl sind. Aber in dieser Erkenntnis werden bewusst oder unbewusst die fossilen Energien weitgehend ausgeblendet. Ein Stop der Gaslieferungen wird nicht als Sanktionsmittel der EU oder Deutschlands gegenüber Russland gesehen, sondern umgekehrt als Bedrohungsszenario einer möglichen Antwort Putins gehandelt. Das geht soweit, dass selbst die Sperrung des Zugangs zum internationalen Zahlungsverkehr (SWIFT) für Russland, einem erwiesenermaßen sehr wirkungsvollen Instrument, hauptsächlich deshalb von Deutschland und der EU derzeit nicht in Erwägung gezogen wird, weil dann ja die Gasrechnungen nicht mehr bezahlt werden könnten.

Bei der Betrachtung der möglichen Szenarien für Sanktionen gegenüber Russland wurde in einer Studie des Kieler Instituts für Wirtschaftsforschung: "Mit diesen Sanktionen trifft der Westen Russlands Wirtschaft am stärksten"4 vor zwei Tagen (Mittwoch,den 23.2.2022) auf das genaue Gegenteil hingewiesen.

Demnach hätte ein Handelsstopp mit Gas einen Einbruch der russischen Wirtschaftsleistung um knapp 3 Prozent zur Folge, ein Handelsstopp mit Öl einen Einbruch um gut 1 Prozent. Für Deutschland und die EU wären die wirtschaftlichen Schäden in beiden Fällen hingegen äußerst gering.

Speziell bei einem Gasstop würde nach dieser Studie das Bruttoinlandsprodukt sogar leicht, um 0,1%, zulegen.

Grund für das Plus ist, dass die westlichen Verbündeten die fehlenden Importe Russlands durch Produkte der Bündnispartner ersetzen würden und hier Deutschland besonders wettbewerbsfähig ist. Im Falle eines Gasembargos hätte Deutschland beispielsweise bei der energieintensiven Produktion bzw. Verarbeitung von Metallen einen Kostenvorteil, weil sein Energiemix nur zu verhältnismäßig geringen Teilen aus russischem Gas besteht.

Neben diesen Auswirkungen auf das BIP muss aber auch besonders hervorgehoben werden, dass derartige Sanktionen eben wegen der Staatsnähe der Lieferanten die Verantwortlichen viel punktgenauer treffen würde und die direkten Auswirkungen auf das russische Volk geringer wären.

Eine solche Entscheidung setzt natürlich eine scharfe Umkehr von der bisherigen Energiepolitik voraus. Sie ist allerdings auch weitgehend deckungsgleich mit den Forderungen der Klimabewegung seit etlichen Jahren: Radikaler Ausbau der Erneuerbaren und entsprechender Speicherkapazitäten für daraus gewonnene Energie. Nur mit Photovoltaik, Windkraft und erneuerbarem Wasserstoff können wir uns einerseits von geopolitischen Machtansprüchen unabhängig machen und andererseits die aus diesen Machtansprüchen abgeleiteten menschenfeindlichen Greueltaten auf das Schärfste zurückweisen, und die Verantwortlichen wirklich empfindlich treffen. Dies gilt für Deutschland, die EU und weltweit.

  • Solidarität mit dem ukrainischen Volk
  • Stop aller Gas- und Öllieferungen aus Russland

Dieser Beitrag wurde mit kleinen Kürzungen als Rede auf der Demonstration gegen Krieg, Grenzen und Imperien am 25.2.2022 gehalten.

Ulrich Schwardmann


  1. siehe: Russland in Zahlen 2021, S.5, https://russland.ahk.de/infothek/medien/russland-in-zahlen    ↩︎

  2. siehe: GTAI: Russland, Wirtschaftsdaten Kompakt, November 2021, S3, https://www.gtai.de/resource/blob/18370/b48a9e2d8891af71d60fb1850c90b8a9/GTAI-Wirtschaftsdaten_November_2021_Russland.pdf    ↩︎

  3. siehe: https://de.wikipedia.org/wiki/Russisch-ukrainischer_Gasstreit    ↩︎

  4. siehe: https://www.ifw-kiel.de/de/publikationen/medieninformationen/2022/mit-diesen-sanktionen-trifft-der-westen-russlands-wirtschaft-am-staerksten/    ↩︎