Die Kriminalisierung der Klimabewegung setzt sich fort

Auch ein Göttinger ist nun wegen einer Straßenblockade im Gefängnis

Geposted von " GöKB " am Friday, August 5, 2022

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Die Wut der Klimaschutzblockierer*innen

Die aufgeheizte Debatte um die angebliche Verantwortung der Letzten Generation für den Tod einer Radfahrerin in Berlin hat den Weg geebnet für eine neue Welle der Kriminalisierung von Klimaaktivist*innen. Die Feuerwehr stellte klar, dass die Ersthilfe der Frau durch eine Notärztin bereits früh nach dem Unfall gewährleistet war und dass der behinderte Rüstwagen der Feuerwehr, der mit Bergungsgerät zur Unfallstelle unterwegs war, nichts am Tod der Frau hätte ändern können. Die Behauptung war jedoch nicht mehr aufzuhalten: Die Blockierer*innen und nicht ein Betonmischer seien Schuld an dem Unfall und seinen Folgen. Der für Nicht-Motorisierte höchst gefährliche Straßenverkehr mit jährlich fast 100.000 verletzten Radfahrer*innen und mehr als 400 Toten in Deutschland und die seit langen bekannten, aber von der Verkehrspolitik ignorierten besonderen Gefahren durch den Schwerlastverkehr werden hier komplett ausgeblendet.

Die Wut populistischer Politiker*innen, insbesondere derjenigen, die sich im Widerstand gegen wirksame Klimaschutzmaßnahmen hervorgetan haben, konnte sich Bahn brechen. Es war von der Klima-RAF die Rede (Dobrindt, ehem. Bundesverkehrsminister). Es sind diese Klimaschutzblockierer*innen, die eine ernsthafte Gefahr in diesem Land darstellen. Für sie ist nun endlich nicht mehr der Kampf gegen die Erderwärmung das Thema, sondern der Kampf gegen diejenigen, die auf die verheerenden Folgen der Erderwärmung so aufmerksam machen, dass diese nicht ignoriert werden kann.

Die intergenerative Klimaungerechtigkeit

Das Bundesverfassungsgericht hat am 24. März 2021 in Abwägungen der generationsübergreifenden verfassungsmäßigen Freiheiten klar dargelegt, dass nicht eine Generation durch Untätigkeit den nächsten Generationen radikale Lasten aufbürden darf, die deren Leben umfassenden Freiheitseinbußen aussetzen würde. (siehe dazu auch Die Folgen des Klima-Urteils vom Bundesverfassungsgericht für den Göttinger Klimaplan2030 )

An dem Konflikt der Straßenblockaden wird deutlich, wie weit die Untätigen auf ihrer Untätigkeit beharren, indem sie Umstände skandalisieren, die sie selbst ansonsten achselzuckend zur Kenntnis nehmen - ja für die sie, wie im Fall von Dobrindt als ein Bundesverkehrsminister, jahrelang selbst hätten Verantwortung übernehmen können. Es wird also deutlich, wie weit diese Untätigen der nächsten Generation ihre Lasten aufbürden wollen, wie sehr sie also bewusst gegen die Verfassung verstoßen wollen, und das mit Gesetzen begründen wollen.

Hysterie und Polizeiaufgabengesetze

Im Fall der getöteten Radfahrerin wird bewusst Hysterie geschürt. Hysterie ist eine bewährte Methode der Diskursverschiebung.

In den vergangenen Tagen wurde so versucht, eine neue bundesdeutsche Stimmungslage zu erzeugen, die immerhin schon dazu geführt hat, dass ohne eine kritische Medienöffentlichkeit eine Ungeheuerlichkeit möglich wurde, die noch vor Kurzem undenkbar war bzw. von der immer wieder behauptet wurde, dass sie keinesfalls eintreten werde. Zunächst acht und mittlerweile vierzehn Klimaschützer*innen wurden ohne Gerichtsverfahren (lediglich Richteranhörung) allein auf Grundlage der polizeilicher Einschätzung, dass die Klimaschützer*innen ihren friedlichen Protest wiederholen werden, für bis zu dreißig Tage ins Gefängnis geworfen. Selbst eine achtzehnjährige Schülerin ist darunter, allerdings mit einer kürzeren Inhaftierung. Und einer derjenigen, die sich an den Straßenblockaden in München beteiligt haben, kommt aus Göttingen: Lars.

Gesetzlich möglich ist dies infolge der Verschärfung der Polizeiaufgabengesetze in den letzten Jahren, von denen alle Verantwortlichen immer wieder behauptet haben, dass sie es keinesfalls als Instrument gegen Klimaschützer*innen eingesetzt werden.

Dass dies eine bewusste Täuschung der Öffentlichkeit war, hatte sich schon beim Hambacher Forst gezeigt, wo in Nordrhein-Westfalen dieses neue polizeiliche Instrument als Erstes schon wenige Wochen nach dem Inkrafttreten gegen Klimaschützer*innen eingesetzt wurde.

Die bayrische Grünen-Landtagsfraktionschefin Katharina Schulze fragte zu den Inhaftierungen in Bayern:

"Wir sind gespannt, ob bald mit gleicher Härte gegen Zweite-Reihe-Parker oder Rettungsgassen-Verhinderer vorgegangen wird."

Aber darauf hat die bayrische Polizei natürlich eine Antwort:

"Das ist sehr, sehr selten, dass das angewendet wird, das ist wirklich ein großer Ausnahmefall"

(ein Polizeisprecher am Freitag, den 4.11., zur Deutschen Presse-Agentur). Nein, gegen Zweite-Reihe-Parker oder Rettungsgassen-Verhinderer soll keinesfalls vorgegangen werden. Aber das Polizeiaufgabengesetz wurde seitdem in Bayern schon mindestens vierzehn Mal gegen Klimaschützer*innen angewendet.

30 Tage ins Gefängnis

Dass die Inhaftierung in Bayern besonders lang ist (dreißig Tage, in anderen Bundesländern meist zwei Wochen), macht diese Fälle besonders drastisch. Aber auch das verschiebt den Diskurs: in den meisten Äußerungen von Politiker*innen wird nun nur die Länge von einem Monat als das Problem dargestellt und die Bayern darauf hingewiesen, dass ihre Regelung besonders weitgehend ist. Als ob sie das nicht selber genau so haben wollten.

Das Vorgehen der Länder als solches wird nicht ernsthaft in Frage gestellt. Die mehrwöchige Haft für Klimaschützer*innen kann so zum selbstverständlichen Instrument der Innenminister*innen werden. So wird der wachsende Konflikt, der sich aus den notwendigen Maßnahmen zur Klimapolitik und den Ergebnissen der realen Politik des Bundes und der Länder, bis hin zu den Kommunen ergibt, über das staatlichen Gewaltmonopol ausgetragen.

Solche Maßnahmen lassen sich nur durch eine Diskursverschiebung durch Stimmungsmache erreichen. Wir kennen bereits einiger solcher Kipppunkte, vor allem im Zusammenhang der Asylpolitik. Hier nun wird der bedauernswerte Tod der Radfahrerin in Berlin von den Gegnern wirksamer Klimapolitik instrumentalisiert.

Vom Kampf gegen die Erderwärmung zum Kampf gegen Klimaschützer*innen

Hier liegt ein offensichtliches Missverhältnis zwischen dem Anliegen von Verfassungsrang der Klimaschützer*innen und der Aufgeregtheit bei ihrer Verunglimpfung, selbst nach der Klarstellung durch die Berliner Feuerwehr, vor. Dies ist auch den aufgeklärten Medien nicht entgangen. Auch das Göttinger Tageblatt hat dazu in Berichten und Kommentaren Stellung bezogen. Und wie krass das Missverhältnis ist, bekräftigt UN-Generalsekretär António Guterres auf der Weltklimakonferenz in Ägypten:

"Wir kämpfen den Kampf unseres Lebens - und sind dabei zu verlieren."

Aber die weitergehenden Folgen der Diskursverschiebung, nämlich die selbstverständliche wochenlange Inhaftierung von Klimaschützer*innen ohne Gerichtsverfahren ist eine wesentlich gefährlichere Entwicklung für den Klimaschutz und unsere Demokratie, denn sie treibt den Preis für wirksamen Protest extrem hoch. Und dies ist bei den Medien bislang weitgehend ignoriert worden. Nur in Bayern und Berlin wurde darüber berichtet, ohne dabei allerdings das Vorgehen selbst ernsthaft in Frage zu stellen.

Eine sehr ernste Bedrohung der Klimaschutzbewegung

Es geht sowohl bei der Diskursverschiebung, als auch bei der Massivität der Kriminalisierung darum, die Klimaschutzbewegung mundtot zu machen. Und dies in einer Phase, in der die Widersprüche immer deutlicher werden: Die letzten Monate waren geprägt von klimabedingten Schreckensmeldungen und einer Fülle der Warnungen, dass die Entwicklungen bereits jetzt wesentlich schlimmer sind, als bisher prognostiziert. Hinzu kommt, dass die CO2-Vermeidung wesentlich geringer ist, als vereinbart und das deutsche Klimaziel bis 2030 höchstwahrscheinlich verpasst werden wird.

Die Rote Hilfe in Göttingen (siehe auch ihre Stellungnahme   zu dem Thema) schreibt zum Thema Kriminalisierung sehr richtig:

Wie immer gilt "Betroffen sind einige, gemeint sind wir Alle".

Die Antwort der Klimaschutzbewegung muss daher die klare Zurückweisung dieser polizeistaatlichen Praktiken und die Solidarität mit den Inhaftierten sein. Selbst wenn die jeweilige Aktionsform möglicherweise nicht von allen für richtig gehalten wird, ist die Gefahr auch für andere, insbesondere wirksame Aktionsformen für den Klimaschutz durch diese Repression zu groß.

“Wir wollen nicht euer Mitleid. Wir wollen, dass ihr alle auf den Straßen Widerstand leistet."

beschreibt die Gruppe "Letzte Generation" die Solidarität, die sie sich wünscht.

Widerstand auf den Straßen ist schon lange ein probates Mittel der Klimaschutzbewegung, sowohl gegen die unzureichende derzeitige Klimapolitik als auch für die Freilassung der inhaftierten Klimaaktivist*innen. Wir müssen hier aktiv werden.

Göttinger Klimabündnis

Die Begründung von Lars aus Göttingen

Lars aus Göttingen begründet seine Teilnahme an der Straßenblockade in München im folgenden Video:

Die Stimmen auch der anderen Menschen, die in der JVA sind oder waren, findet ihr hier   .